moderneREGIONAL im Gespräch mit Eckhard Gerber (25/1)
Als in der Innenstadt kein Platz mehr war, zog die Karlsruher Messe auf die grüne Wiese: Von 2001 bis 2003 entstand südwestlich der City ein neues Messegelände nach Plänen des Dortmunder Büros Gerber Architekten, die als Sieger aus dem vorausgegangenen Wettbewerb hervorgingen. Eckhard Gerber (*1938) ist als Architekt, Hochschullehrer und Mitglied in etlichen Jurys und Gestaltungsbeiräten mit Großprojekten vertraut: Die Stadthalle Herne (1981), das MDR-Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt (1996–1998) und – ein Beispiel für Bauen im Bestand – das Berliner Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (1996–1998) sind Gerber-Projekte.
Die Gesamtanlage der Neuen Messe zitiert die bauliche Anlage von Schloss und Gartenanlagen der Fächerstadt Karlsruhe. Ehe das freie Gelände in späteren Jahren bebaut wurde, bot sich aus der Messe zudem eine Art Schaufensterblick auf die Ausläufer des Nordschwarzwald; mit seinem satte 26 Meter auskragendem Flugdach empfängt das riegelartige Eingangsgebäude die Besucher mit großer, zeittypischer Geste. Doch schnell offenbart sich das Ensemble als naturbezogene Konstruktion statt als plakativer Hightech-Bau: Die Neue Messe besteht in weiten Teilen aus Holzkonstruktionen. So ist bereits das Eingangsgebäude holzverkleidet, die vier 80 x 160 Meter messenden Hallen überspannt über ihre gesamte Breite jeweils eine stützenfreie, gebogene Dachkonstruktion aus Holz. Seit über 20 Jahren sind die Gebäude mittlerweile in Nutzung. Zeit für ein Gespräch mit Eckhard Gerber: über den Genius Loci, über Sponsoren-Logos – und den Orkan Lothar!

Karlsruhe, Messe Empfangsgebäude (Bild: © Gerber Architekten, Foto: Hans Jürgen Landes)
moderneREGIONAL: Die Neue Messe wirkt auf den ersten Blick wie ein zeittypischer Repräsentationsbau im High-Tech-Stil. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich die weitgehende Verwendung des natürlichen Baustoffs Holz. War dieser Spagat von Anfang an so geplant oder ist die Gesamtkonstruktion eher das Ergebnis eines Abwägens zwischen technischen und finanziellen Möglichkeiten?
Eckhard Gerber: Sicherlich offenbart sich dann spätestens auf den dritten Blick die Möglichkeit von High-Tech auch als Holz-Konstruktion. Das wird ganz besonders deutlich in den über 80 Meter frei gespannten Konstruktionen der vier Ausstellungshallen. Dabei ist die höhere Halle auch für Großveranstaltungen jeglicher Art entwickelt. Um hier an die Dachkonstruktion auch Lasten bringen zu können für schwere Lautsprecher, Beleuchtungsgeräte und ähnliches, ist eine andere Bauweise als bei den kleineren Hallen gewählt, und zwar mit diagonal übereinander gelegten Bindern, im Gegensatz zu den niedrigeren drei Hallen in einfach gespannter Hohlraumstruktur. Die Wahl des Baustoffes Holz haben wir damals schon beim Wettbewerb vorgeschlagen, da aufgrund eines großen Waldbruches durch den Orkan „Lothar“ 1999 sehr viel Holz auf dem Markt war, und deshalb eine Holzkonstruktion vermutlich preiswert zu erstellen war. Was sich dann später bei der Realisierung auch bewahrheitete.

Karlsruhe, Messe dm-Arena (Bild: © Gerber Architekten, Foto: Hans Jürgen Landes)
mR: Als Inspiration für das Messegelände gilt die Karlsruher Schlossanlage. Die axiale Symmetrie und die Verflechtung der zugehörigen Gebäude mit einer umgebenden Gartenlandschaft sind definitiv ablesbar. Gab es seitens der Stadt Karlsruhe Vorgaben oder Wünsche hinsichtlich dieser Gestaltung?
EG: Nein, es gab keinerlei Vorgaben der Stadt Karlsruhe in dieser Hinsicht. Unser städtebaulich-architektonisches Konzept für die Neue Messe Karlsruhe haben wir eben inspirierend aus der Karlsruher Schlossanlage wissentlich entwickelt, es ergab sich dadurch auch eine klare und sehr sinnvolle Funktionsstruktur für diese Aufgabe. Die Einbindung von Gebäuden oder Gebäudestrukturen in die Landschaft ist schon immer mein Anliegen bei unseren Entwurfskonzeptionen: die enge Verknüpfung von Gebäude und Landschaft. Diese Verknüpfung ist auch von innen heraus erlebbar, zum Beispiel aus den oberen Geschossen der großen Eingangshalle mit schönen Blickbezügen durch die Halle und den inneren Hof der Messe bis zu den Bergen des Schwarzwaldes. Diese Sichtachse ist aber leider durch neue Industriegebäude in dieser Achse später gestört worden.

Messe Karlsruhe, Luftaufnahme im Urzustand mit markierter Sichtachse (Bild: © Gerber Architekten, Foto: Hans Jürgen Landes)
mR: Die bisherige Messe Karlsruhe in der Stadt war in den 1990er Jahren an ihre räumlichen und konzeptionellen Grenzen gestoßen, der ehemalige Flugplatz Forchheim als Standort für einen kompletten Neubau auserkoren. Ist es ein Glücksfall oder eine Herausforderung, eine völlige Neukonzeption auf der grünen Wiese zu erstellen?
EG: Wenn man so will, ist jeder Entwurf für jedwede Aufgabenstellung für uns als Architekten sowohl Glücksfall als auch Herausforderung. Das bezieht sich auf Aufgaben in geschlossenen Bebauungen oder in Verbindung für das Bauen im Bestand oder eben auch in einer Neukonzeption. Alle Aufgaben sind auf Ihre Weise spannend, interessant und auf jeden Fall immer eine besondere Herausforderung.
mR: Die Bauzeit der Neuen Messe betrug weniger als drei Jahre. Wäre es heute, 20 Jahre später, noch möglich, in dieser Kürze ein solches Projekt zu realisieren?
EG: Für die Neue Messe Karlsruhe war von Anfang an eine kurze Bauzeit wegen vertraglich festgelegter Veranstaltungen vorgesehen, die dann sicherlich auch durch die Holzkonstruktion der großen Messehallen möglich wurde. Heute würde man diese 80 Meter freigespannte tonnengewölbte Holzkonstruktion wegen ihrer Betonkubenwiderlager wohl als Holzhybrid-Konstruktion bezeichnen. Aufgrund der immer stärkeren Bürokratisierung unserer Gesellschaft wie auch des Planens und Bauens wäre wohl heute mit einer längeren Bauzeit zu rechnen.

Karlsruhe, Messehalle 1 (Bild: © Gerber Architekten, Foto: Hans Jürgen Landes)
mR: Sponsoring ist heute üblich. Das große dm-Logo an der Multifunktionshalle lässt manchen allerdings denken, statt der Messe sei hier die Konzernzentrale eines Drogerie-Riesen. Schmerzt das nicht ein wenig?
EG: Ohne Reklame ist die heutige Welt leider nicht mehr denkbar. Schöner wäre es, wenn einem Gebäude ein so großes Firmenlogo erspart bliebe. Die Messegesellschaft wollte unbedingt dieses „dm“ Logo an der Multifunktionshalle anbringen lassen, weil hier von dem in Karlsruhe ansässigen „dm-Drogeriemarkt“- Unternehmen entsprechende Gelder an die Neue Messe gezahlt werden. Ich habe diesem Begehren der Messegesellschaft im Hinblick auf meine Urheberrechte zugestimmt und es wurde auch finanziell entsprechend honoriert. Es wäre ein Kampf gegen Windmühlen, sich solchen Forderungen oder Wünschen zu widersetzen. In seltenen Fällen gelingt aber auch mal ein gutes Beispiel wie die Lichtkunst-Installation der fliegenden Bilder an dem von uns sanierten und neu ausgerichteten Dortmunder U-Turm als Zentrum für Kunst und Kreativität.

Karlsruhe, Messe Innenhof (Bild: © Gerber Architekten, Foto: Hans Jürgen Landes)
mR: Sie starteten 1966 in die berufliche Selbstständigkeit, das Büro Gerber Architekten in seiner heutigen Form existiert seit 1979. In der Rückschau: Ist die Neue Messe Karlsruhe in ihrer Umsetzung ein typisches Gerber-Projekt oder nimmt sie eine besondere Stellung ein?
EG: In unserer Arbeit als Architekten sind die Lösungs-Anforderungen aus einer Aufgabenstellung immer speziell und verschieden, sie ergeben sich wie schon formuliert aus der Besonderheit der jeweiligen Aufgabe. Unsere Projekte erkennt man nicht an einer sich wiederholenden oder wiederkehrenden Architekturbildsprache, sondern viel eher an unseren funktional intelligenten Konzeptionen oder, wenn immer möglich, an der Verknüpfung von Gebäude und Landschaft, und darüber hinaus an nicht erwartbaren besonderen Raumfindungen. Und letzten Endes an immer wieder anderen neu gefundenen Sprachweisen von Architektur, die sich aber vor allem aus der Besonderheit der Aufgabe entwickeln!
Die Fragen stellte Daniel Bartetzko.

Karlsruhe, Eröffnung Messe IT TRANS 2016 (Bild: Karlsruher Messe und Kongress GmbH, CC BY-SA 3.0)

Karlsruhe, Messe, dm-Arena (Bild: Günter Josef Radig, CC BY-SA 3.0)
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Inhalt

LEITARTIKEL: Auf die Messe, fertig, los …
Jürgen Tietz über wiederkehrende Lust und Leid eines Messebesuchs.

FACHBEITRAG: Müthers Durchbruch auf der Ostseemesse
Dina Falbe über die Messehalle „Bauwesen und Erdöl“, die erste Hyparschalenkonstruktion von Ulrich Müther.

FACHBEITRAG: Hinter der historischen Hülle
Ira Scheibe über die Kölnmesse (1928) und ihre Umgestaltung in die Rheinhallen (2010).

FACHBEITRAG: Das kühle Dach der Nachwendezeit
Verena Pfeiffer-Kloss über den Weg der Messe Leipzig auf ihr neues Gelände.

PORTRÄT: Einzigartig und verloren
Matthias Ludwig über die gesperrte ZF-Arena Friedrichshafen.

INTERVIEW: Neu gefundene Sprachweisen von Architektur
Eckhard Gerber im Gespräch über die Neue Messe Karlsruhe (2003).

FOTOSTRECKE: Stuttgarter Ost-West-Beziehungen
Eine Bildertour durch die Messe Stuttgart (2007) und die jährlich dort stattfindende Oldtimermesse Retro Classics.